Carl Andre, Thomas Arnolds, Sabrina Fritsch, Bruno Goller, Raphael Adjetey Adjei Mayne, Wilhelm Mundt, C.O. Paeffgen, Elizabeth Peyton, Sigmar Polke, Gerhard Richter, Andreas Schmitten, Stefan Vogel, John Wesley, René Wirths

ABSTRAKTION UND LEBENSWELT

November 16, 2024 – January 18, 2025
Opening: November 16, 2024 3:00 pm

About

Curated by Dr. Martin Hentschel


SCHÖNEWALD freut sich, Ihnen die neue Gruppenausstellung Abstraktion und Lebenswelt ankündigen zu können. Die Ausstellung umfasst fünfzehn Positionen von Künstler*Innen des 20. und 21. Jahrhunderts. Der Titel spannt zwei scheinbar gegensätzliche Pole zusammen. Näher besehen zeigt sich jedoch, dass die Werke der teilnehmenden Künstler*Innen tatsächlich immer beide begrifflichen Pole beinhalten. So werden etwa die Arbeiten von Carl Andre (1935–2024) als abstrakt angesehen, doch sie bestehen wie in unserem Fall aus Holz, ein Material, das in der alltäglichen Lebenswelt vielfach praktische Verwendung findet. Ähnlich die Trashstones von Wilhelm Mundt (*1959): Äußerlich sind sie gänzlich abstrakt, im Inneren aber verbergen sie eine Fülle gegenständlichen Materials. Umgekehrt werden etwa die Porträts von Elizabeth Peyton (*1965) als gegenständlich und illusionistisch denotiert, dennoch besitzen sie in ihrer Farb- und Formgebung ein gehöriges Maß an Abstraktion. Es ist durchaus spannend zu beobachten, wie die Werke dieser Ausstellung einmal mehr in Richtung Abstraktion und einmal mehr in Richtung Lebenswelt ausschlagen.

Thomas Arnolds (*1975) gelingt es in seinen großformatigen Gemälden, monochrome Farbflächen mit figurativen Motiven zusammenzuspannen, während seine gegenständlichen Zeichnungen immer einen gewissen Anteil an unbestimmter Räumlichkeit enthalten. Anders etwa Gerhard Richter (*1932), der in seinen Lackbildern fotografische Gegenständlichkeit und amorphe Farbschlieren aufeinanderprallen lässt. Das geschieht meist so unvermittelt, dass die fotografisch dargestellte Welt gleichsam ausgehöhlt wird. Andererseits hat er mit seinen Aquarellen und Ölmalereien ein ganzes Universum gegenstandsloser Farbereignisse geschaffen und damit das abstrakte Vokabular der Malerei neu belebt. Karin Kneffel (*1957), die wiederum bei Richter studiert hat, konstruiert und erfindet malerische Wirklichkeiten, die gleichzeitig detailversessen und ornamental erscheinen, wie etwa ihre Tulpen- und Früchtebilder. Ganz anders Bruno Goller (1901–1998): Sein Frauenbildnis ist schon im Inneren ornamental strukturiert, und wie zur Bekräftigung fasst er es in einen innerbildlichen Ornamentrahmen. Dies wird bei Raphael Adjetey Adjei Mayne (*1983) nochmals gesteigert: In seinem Gemälde Birthday Boy Sit wird die dargestellte Person ebenso wie ihr Umraum vom Sog der Ornaments erfasst und damit fast abstrakt. Anders geht John Wesley

(1928–2022) vor, wenn er sein Pin-up-Girl verdreifacht und damit zum Ornament stilisiert. Bei ihm ist außerdem die Nähe zur Pop Art unverkennbar. Wesley’s outlines, die sich um die Figuren ziehen, sind andererseits den Filzstift-Umrissen von C. O. Paeffgen (1933–2019) verwandt. Wie Wesley greift auch Paeffgen auf Alltagsmotive zurück, die er in Zeitungen und Magazinen findet. Mit den Umrandungen und ihrer späteren Übertragung auf Fotoleinwand ist der künstlerische Akt bereits abgeschlossen. Umso frappierender ist es zu sehen, wie die Alltagswelt durch diese einfachen Eingriffe ikonischen Charakter erhält und somit der Bilderflut entrissen wird.

Zwischen Abstraktion und Figuration changieren die Gemälde von Sabrina Fritsch (*1979). In ihrer SHFT Serie verschieben sich farbige Konfigurationen aus den Farbsystemen CMYK und RGB scheinbar musterartig, während sie in Wahrheit komplexe Codes und Kommunikationsstrukturen darstellen. Darüber hinaus liebt sie es, abstrakte Formationen mit Darstellungen abstrahierter menschlicher Körperpartien zu kombinieren. Auch Sigmar Polke arbeitet (1941–2010) in seinem unbetitelten Rasterbild von 1988 mit einem Code. Dieser bleibt jedoch weitgehend abstrakt; nur in der Bildmitte deutet sich etwas Gegenständliches an, das dennoch nicht dechiffrierbar erscheint. René Wirths (*1967) ist bekannt geworden mit seinen veristischen, fast unheimlich detailreichen Gemälden vereinzelter Alltagsgegenstände. Seit 2022 ist er dazu übergegangen, diesen Verismus durch mehrfache Spiegelungen und Verdoppelungen zu durchbrechen. Das gilt schließlich auch für seine neuen Schriftbilder, in denen der Spiegelcharakter ins Plastische ausgreift und somit eine faszinierende, reliefartige Räumlichkeit erzeugt.

In gelebten Alltagsgegenständen wie Stoff, Dreck, Holzspäne, Garn, Metall, Schotter findet Stefan Vogel (*1981) seine Bildmaterialien, die sich zuweilen auch zu Rauminstallationen auftürmen. Auch wenn er Fotografien einbezieht, so bleiben seine großformatigen, fragil anmutenden Bildkörper doch abstrakt; die lebensweltlichen Einsprengsel sind dabei willkommene Haltepunkte im Kontinuum des Bildes. Gegenüber der poveren Ästhetik Vogels bietet Andreas Schmitten (*1980) ein hohes Maß glatter, fast aseptischer Oberflächen. Auch er bezieht seine Inspirationen aus dem häuslichen und menschlichen Umfeld, aber ihm ist daran gelegen, daran ein stilisierendes, abstraktes Vokabular zu entwickeln. Die Arbeiten nude (2017) oder Fetal Abstraktion (2020) etwa balancieren die Möglichkeiten zwischen Zeigen und Verbergen, Figur und Abstraktion im menschlichen Umfeld in hochbrisanter Weise aus.

Lassen Sie sich überraschen, inwieweit Sie an den vielfältigen künstlerischen Positionen der Ausstellung Berührungspunkte, Verwandtschaften oder Kontraste entdecken werden.

(Dieser Text ist zur uneingeschränkten Veröffentlichung freigegeben)

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SCHÖNEWALD is pleased to announce the group exhibition Abstraktion und Lebenswelt / Abstraction and Lifeworld, featuring works by fifteen artists from the twentieth and twenty-first centuries. The title brings together two seemingly opposing poles. On closer inspection, however, it becomes clear that the works of the participating artists actually always contain both conceptual poles. For example, the works of Carl Andre (1935–2024) are considered abstract; in our case, however, they are made of wood, a material that has many practical uses in everyday life. Similarly, the Trashstones by Wilhelm Mundt (b. 1959) are completely abstract on the outside but conceal a wealth of representational material on the inside. Conversely, the portraits by Elizabeth Peyton (b. 1965) are described as representational and illusionistic, yet they possess a considerable degree of abstraction in their colours and forms. It is fascinating to observe how the works in this exhibition veer towards abstraction on the one hand and towards the world we live in on the other.

In his large-format paintings, Thomas Arnolds (b. 1975) combines monochrome fields of colour with figurative motifs, while his figurative drawings always contain a certain indeterminate spatiality. This differs from, for example, Gerhard Richter (b. 1932), who in his lacquer paintings allows photographic figuration and amorphous streaks of colour to collide. This usually happens so abruptly that the photographic world is hollowed out, so to speak. In his watercolours and oils, on the other hand, he has created a whole universe of non-representational colour events, thereby revitalising the abstract vocabulary of painting. Karin Kneffel (b. 1957), who studied with Richter, constructs and invents painterly realities that are at once obsessed with detail and ornamental, as in her tulip and fruit paintings. Bruno Goller (1901–1998) is quite different: his Frauenbildnis (Portrait of a Woman) is already internally ornamental, and as if to emphasise this, he places it in an ornamental frame within the painting. Raphael Adjetey Adjei Mayne (b. 1983) goes even further: in his painting Birthday Boy Sit, the subject and his surroundings are engulfed by the ornamental maelstrom, becoming almost abstract. John Wesley (1928–2022) takes a different approach when he triples his pin-up girl, stylising her into an ornament. On the one hand, his work is unmistakably close to Pop Art. On the other hand, Wesley’s outlines, drawn around the figures, are related to the felt-tipped outlines of C. O. Paeffgen (1933–2019). Like Wesley, Paeffgen draws on everyday motifs he finds in newspapers and magazines. The artistic act is already complete with the outlines and their subsequent transfer to photo canvas. It is all the more striking to see how, through these simple interventions, the everyday world acquires an iconic character and is wrested from the flood of images.

The paintings of Sabrina Fritsch (b. 1979) oscillate between abstraction and figuration. In her SHFT series, colour configurations from the CMYK and RGB colour systems shift in seemingly pattern-like ways, while in reality they represent complex codes and communication structures. She also likes to combine abstract formations with representations of abstracted parts of the human body. Sigmar Polke (1941–2010) also works with a code in his untitled raster painting from 1988. However, this remains largely abstract; only in the centre of the picture is there a hint of something representational, but it does not seem to be decipherable. René Wirths (b. 1967) became known for his veristic, almost uncannily detailed paintings of isolated everyday objects. Since 2022, he has begun to break through this verism through multiple reflections and doublings. This is also true of his new text paintings, in which the mirror character extends into the three-dimensional, creating a fascinating, relief-like spatiality.

Stefan Vogel (b. 1981) finds his pictorial material in everyday objects such as fabric, dirt, wood shavings, yarn, metal, and gravel, sometimes piled up to form spatial installations. Even when he incorporates photographs, his large-format, fragile-looking pictorial bodies remain abstract; the sprinklings of the world we live in are welcome stopping points in the continuum of the image. In contrast to Vogel’s ‘povera’ aesthetic, Andreas Schmitten (b. 1980) offers a high degree of smooth, almost aseptic surfaces. He, too, draws inspiration from the domestic and human environment, but his aim is to develop a stylised, abstract vocabulary from it. The works nude (2017) and Fetal Abstraktion (2020), for example, balance the possibilities between showing and hiding, figuration and abstraction in the human environment in a highly charged way.

Let yourself be surprised by the extent to which you discover points of contact, similarities or contrasts between the different artistic positions in the exhibition.


(This text is released for unrestricted publication)

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